Interview mit Lothar Koch, Biologe und Naturschützer

von | 30. September 2024 | News - Fischerei

„Es kommt immer wieder zu Bestandseinbrüchen bei Nordseefischarten durch Übernutzung.“

Lothar Koch lebt seit 1988 auf Sylt. 15 Jahre lang leitete der Biologe die Sylter Informationszentren der Naturschutzgesellschaft Schutzstation Wattenmeer e.V.. Als Naturschützer engagiert sich Koch in zahlreichen Gremien für die Lösung aktueller Natur- und Umweltprobleme auf Sylt und im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer. 

3 Fragen an: Lothar Koch, Biologe und Naturschützer

GRD: Herr Koch, welche Bedrohungen erachten Sie für die Schweinswale in der Nordsee als am bedeutsamsten?

Lothar Koch: Die Meeressäuger sind durch vielfältige Einflüsse gefährdet. An erster Stelle steht die Stellnetzfischerei, die seit Jahrzehnten für den unbeabsichtigten Beifang von bis zu 10.000 Schweinswalen pro Jahr in der südlichen Nordsee verantwortlich ist. Zudem kommt es immer wieder zu Bestandseinbrüchen bei Nordseefischarten durch Übernutzung. Dies kann zu Unterernährung und zum Abwandern der Schweinswale führen. Das geschieht vor dem Hintergrund einer enormen Schadstoffbelastung, denen die Top-Prädatoren am Ende der marinen Nahrungskette ausgesetzt sind.

An zweiter Stelle steht der Unterwasserlärm. Wale haben ein hoch empfindliches Gehör und orientieren sich bei Beutefang und Kommunikation über Ultraschall. Zu den klassischen Lärmquellen wie Schifffahrt, Militär und Kiesabbau kommt seit zwei Jahrzehnten der Bau von Offshore-Windparks hinzu. Die Rammarbeiten der Fundamente können zu heftigen Gehörschäden bei den Tieren führen. Auf jeden Fall versuchen die Schweinswale aus den Gebieten mit lauten Schallemissionen zu fliehen. Sie werden auch bei den Baustellen vom Menschen gezielt vergrämt. Dadurch werden sie aus ihren Habitaten vertrieben, verbrauchen mehr Energie und hungern deshalb zusätzlich. Viele Schweinswal-Totfunde sind von Parasiten durchseucht, unterernährt und haben gerade einmal die Hälfte ihrer normalen Lebenserwartung erreicht.

BEIM WALSCHUTZGEBIET IM NATIONALPARK SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES WATTENMEER FEHLT NACH WIE VOR EIN UMFASSENDER MANAGEMENTPLAN

Lothar Koch

GRD: Mit dem Walschutzgebiet vor Sylt und Amrum sowie dem angrenzenden Naturschutzgebiet Sylter Außenriff wurden Schutzzonen geschaffen, die den Schweinswal-Populationen einen besseren Lebensraum bieten sollen. Welche Schwachstellen weisen diese Zonen immer noch auf bzw. wo gibt es Ihrer Ansicht nach Verbesserungsbedarf?

Lothar Koch: In den Schutzgebieten darf die internationale Fischerei nach wie vor ungehindert mit Schweinswal-schädlichem Fischereigerät agieren. Auch die mangelnden Geschwindigkeitsbegrenzungen in den Seestrassen für Versogungsschiffe der Windkraft-Industrie sind bedenklich. Aufgrund des enormen Drucks der Klimakrise ist zu befürchten, dass die Schutzgebiete sich bald auch anderen Prioritäten unterordnen müssen, wie es z.B. derzeit im Ostsee-Nationalpark Jasmund mit seinem LNG Terminal geschieht.

Beim Walschutzgebiet im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer fehlt nach wie vor ein umfassender Managementplan, der eine wirksame Kontrolle der Bestimmungen, intensivere Informations- und Öffentlichkeitsarbeit, sowie ein effektives Monitoring garantiert. 
Leider fehlt der Schutz der unmittelbaren Küsten und Strandbereiche, die vom Schutzgebiet ausgenommen sind, aber gern von Mutter-Kalbgruppen im Sommer genutzt werden. Hier könnte es zu Konflikten mit lokaler Stellnetzfischerei und E-betriebenen Wassersportgeräten kommen, die in Zukunft vermehrt auf dem Markt sein werden.

NIEMAND WIRD BEHAUPTEN KÖNNEN, DASS DIE BISHERIGEN KOMPROMISSE ÜBERWIEGEND ZU GUNSTEN DES NATUR- UND UMWELTSCHUTZES AUSGEFALLEN SIND.

Lothar Koch

GRD: Das Spannungsfeld zwischen der vielfältigen Meeresnutzung durch den Menschen und dem Meeresschutz ist äußerst sensibel. Wie lassen sich Ihrer Meinung nach die unterschiedlichen Nutzungsinteressen in Einklang bringen? Wie könnten Kompromisse ausgestaltet sein?

Lothar Koch: Es fällt nicht leicht als Meeresschützer noch Kompromissvorschläge zu machen, da ja bestehende Schutzgebiete und -maßnahmen bereits die Ergebnisse von zahllosen Verhandlungen der letzten Jahrzehnte sind. Niemand wird behaupten können, dass die bisherigen Kompromisse überwiegend zu Gunsten des Natur- und Umweltschutzes ausgefallen sind. Gleichzeitig sind aber die Erkenntnisse und Datenlagen, die wir über die Meeresnatur haben in den vergangenen Jahren drastisch gestiegen, da es einen enormen Forschungsschub und große Technologiesprünge in der Meeresforschung gegeben hat und wegen der Top-Themen „Klimakrise und Artensterben“ viel mehr Daten erhoben werden als früher. Diese weisen auf die zunehmend bedrohliche Lage hin, in der sich die Großökosysteme Nord- und Ostsee und deren Bewohner befinden. Meeressäuger gehören dabei zu den Bioindikatoren für das ganze System Meer, weil sie am oberen Ende des Nahrungsnetzes stehen.

Es muss also bei allen Verhandlungen immer um den ökosystemaren Ansatz bei Schutzbestrebungen gehen und weniger um kleinteilige Maßnahmen für einzelne Arten. Direkte Notmaßnahmen sind zusätzlich für besonders akut gefährdete Populationen zu ergreifen, wie für den Schweinswal in der Ostsee. Im Hinblick auf den zu erwartenden Offshore Windkraft-Boom schlagen Naturschutzverbände derzeit ein Zonieren von Eignungsflächen vor (s.Karte https://www.natuerlich-sylt.com/hinterm-horizont-gehts-weiter/) deutsche Meeres-Wissenschaftler empfehlen 52 Aktions-Punkte zum Schutz der Hausmeere. Deren generelles Fazit lautet:

• Mehr Meeresschutzgebiete ausweisen in denen die Biodiversitätsstrategie der EU wirklich Anwendung findet, wobei 30% der Fläche unter Schutz und 10 % unter strengem Schutz stehen sollte (Null-Nutzung).
• Nur einen naturverträglichen Ausbau der Windenergie genehmigen 
• Dringend die Effekte der Fischerei auf das Meeresökosystem vermindern, etwa umweltschädliche Fangmethoden wie Grundschleppnetze langfristig in besonders sensiblen Gebieten verbieten.

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